KV 550 Rosengarten Mannheim

Auch Wolfgang Amadeus Mozart war während seiner letzten Lebensjahre überwiegend als freischaffender Komponist und Musiker tätig. Zwar erhielt er bereits im Alter von 16 Jahren eine Anstellung als Konzertmeister der Salzburger Hofkapelle, aber diese Position konnte Mozart, der mit seinen Eltern und seiner Schwester Maria Anna als „Wunderkind“ Europa bereist hatte, kaum erfüllen.
Eine ausgedehnte Städtereise, die ihn unter anderem nach Mannheim und nach Paris führen sollte, war nicht vom erhofften Erfolg gekrönt. Nach seiner Rückkehr blieb das Verhältnis zum fürsterzbischöflichen Dienstherren derart angespannt, dass Mozart schließlich nach Wien zog, wo er als freischaffender Komponist, Klaviervirtuose und Lehrer seinen Lebensunterhalt bestritt. So ent- standen in den Sommermonaten des Jahres 1788 drei Sinfonien, die der Komponist wahrscheinlich jeweils innerhalb von nur vier Wochen zu Papier brachte. Dies legen jedenfalls die notierten Abschlussdaten im selbstangelegten Verzeichnüß aller meiner Werke nahe. Einen Tag nach Vollendung des ersten Teils seiner sinfonischen Trilogie bat Mozart den befreundeten Tuchhändler Michael Puchberg in einem Brief vom 27. Juni: „Kommen Sie doch zu mir und besuchen Sie mich; ich bin immer zu Hause; – ich habe in den 10 Tagen daß ich hier wohne mehr gearbeitet als in anderen Logis in 2 Monat, und kämen mir nicht so oft schwarze Gedanken (die ich nur mit Gewalt ausschlagen muß) würde es mir noch besser von Statten gehen …“ Es ist unklar, worauf sich die „schwarzen Gedanken“ beziehen und ob Mozarts intensives Arbeitspensum einer besonders kreativen Phase oder doch der drohenden Existenzangst und der familiären Verpflichtung geschuldet war.
Inwiefern die musikalische Gestaltung der Sinfonie Nr. 40 in g-Moll, KV 550 Mozarts damaliger Lebenssituation oder der in seinem Brief beschriebenen Gefühlslage Rechnung trägt, lässt sich kaum ermessen. Das Werk bildet gleichermaßen ein Pendant zur vorrangegangenen kraftvollen und lebhaften Sinfonie Nr. 39 und der kurz danach entstandenen „Jupiter-Sinfonie“ in C-Dur, KV 551, die sich besonders durch ihre meisterhafte formale Struktur auszeichnet.
Im Gegensatz dazu wirkt die g-Moll-Sinfonie weitaus „lockerer“ gestaltet. Der Fokus liegt spürbar auf den melodischen Linien, die Mozart scheinbar mühelos aus der Feder geflossen sind. Trotz der überspannenden dunklen Molltonart entwarf der Komponist hier keine „tragische“ Sinfonie, sondern bedient sich einer eleganten und grazilen Schreibweise, die sich bereits in den ersten Takten des Kopfsatzes offenbart. Dessen 1. Thema zählt zu Mozarts populärsten Einfällen schlechthin und kündet von seinem einzigartigen Gespür für lyrisch-anmutige Melodien. Auch der langsame zweite Satz im hellen Es-Dur ist von einer tänzerischen Leichtfüßigkeit geprägt, während das forsche Scherzo in den Eckteilen vor grimmiger Entschlossenheit strotzt und so einen starken Kontrast zu dem zurückhalten- den Mittelteil mit zarten Holzbläsersoli und verhaltenen Streicherklängen bildet. Das Finale teilt sich die ersten drei Töne mit dem Scherzo-Thema – einem aufstrebenden g-Moll-Akkord, der hier in ein energiegeladenes Orchestertutti mündet. Im lebhaften letzten Satz arbeitet Mozart klanglich und dynamisch mit starken Kontrasten: Immer wieder werden die sorgfältig abgestuften Linien der Bläser und Streicher von kraftvollen Gesten unterbrochen und führen das Stück schließlich zu einem fulminanten Schluss.
Text: Gerrit Bogdahn

KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll
Orchester: Mannheimer Philharmoniker
Leitung: Boian Videnoff
Aufnahme am 9. Dezember 2023, Rosengarten Mannheim

KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Molto allegro
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Andante
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Menuetto: Allegretto
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Allegro assai


KV 550 Stadthalle Ettlingen

Es gehört bis heute zu den Geheimnissen Mozarts, was ihn dazu bewog, im Sommer 1788 - innerhalb von nur sechs(!) Wochen - seine drei letzten Symphonien Nr. 39 bis 41 zu schreiben, die den Höhepunkt der klassischen Symphonie überhaupt bezeichnen. Da es normalerweise nicht seiner Art entsprach, Werke (noch dazu in derartigen Dimensionen) ohne Auftraggeber bzw. Aussicht auf eine Aufführung zu komponieren, machte sich nach seinem Tod zunächst die romantische Vorstellung breit, er habe die Symphonien in hoffnungsloser Lage nur für sich selbst oder „für die Ewigkeit“ geschrieben. In der Tat befand sich Mozart zu jener Zeit in einer schweren Krise, die durch Geldsorgen, Depressionen und den Tod seines sechs Monate alten Töchterchens gekennzeichnet war. Ende Juni 1788 schreibt er an seinen Freund Michael Puchberg: „Kommen Sie doch zu mir und besuchen Sie mich; ich bin immer zu Hause; - ich habe in den 10 Tagen daß ich hier wohne mehr gearbeitet als in anderen Logis in 2 Monat, und kämen mir nicht so oft schwarze Gedanken (die ich nur mit Gewalt ausschlagen muß) würde es mir noch besser von Statten gehen …“ In jüngerer Zeit geht man davon aus, dass die Werke entweder für eine später aus mangelndem Publikumsinteresse abgesagte Konzertreihe, eine beabsichtigte Veröffentlichung oder eine geplante, aber letztlich nicht durchgeführte Englandreise konzipiert waren. Eine oder mehrere Aufführungen zu Mozarts Lebzeiten sind sehr wahrscheinlich; es kann aber nicht eindeutig nachgewiesen werden, wann und wo welche der drei Symphonien gespielt wurde.
Mozart schuf nur zwei Symphonien in Moll, nämlich die „kleine“ g-moll-Symphonie Nr. 25 (KV 183) und eben die „große“ g-moll-Symphonie Nr. 40 (KV 550). Letztere trug er in sein chronologisch angelegtes „Verzeichnüß aller meiner Werke“ mit der Datierung „25. Juli 1788“ ein - zunächst noch in der Version ohne Klarinetten, welche dann später in einer zweiten (der hier gespielten) Fassung hinzugefügt wurden. Das Partiturautograph wurde in einem Zuge, ohne Korrekturen in lediglich zwei Arbeitsgängen niedergeschrieben. Offenbar vermochte Mozart das Werk als Ganzes im Gedächtnis zu umfassen, was ein nahezu unbegreifliches Konzentrationsvermögen voraussetzt. Über die Uraufführung und weitere Aufführungen zu Mozarts Lebzeiten ist nichts Konkretes überliefert; frühe Abschriften in verschiedenen Bibliotheken deuten aber darauf hin, dass das Werk schnell eine weite Verbreitung fand. Bereits drei Jahre nach Mozarts Tod wurde die Symphonie in gestochenen Stimmen vom Verleger Johann André in Offenbach / Main veröffentlicht.
Mozarts Zeitgenossen empfanden sehr deutlich, dass sich seine Musik von allem unterschied, was man damals hören konnte. Obwohl kaum jemand bezweifelte, dass Mozart der größte Komponist seiner Zeit war, gab es viele Äußerungen, die auf eine Überforderung, ja sogar eine gewisse Verstörung der Zuhörer durch die Dichte der musikalischen Aussage und die aufwühlende Wirkung der Klangsprache hinweisen. So sei seine g-moll-Symphonie „…feurig…tief bewegt…furchtbar schön … schwärmerisch … das große Gemälde einer leidenschaftlich ergriffenen Seele, die vom Wehmütigsten bis zum Erhabensten übergehet…“ Man stellte sich die Frage: Soll und darf Musik überhaupt solches sagen? Noch mehr als fünfzig Jahre nach Mozarts Tod schreibt der einflussreiche Mozart-Biograph Alexander Ulibischeff: „In der Symphonie erreicht Mozart den höchsten Grad von Feuer, Energie, Leidenschaft und Begeisterung. Hier finden sich verwegene, zuweilen unordentliche und excentrische Modulationen, die man sonst nicht bei Mozart trifft; es erscheinen Verbindungen und Gegensätze von Ideen, welche das Ohr verblüffen, Wunder des Kontrapunkts und der Harmonie, die noch kein Musiker uns wiederholt hat oder wiederholen wird. Wissen und Ausdruck sind hier auf den höchsten Gipfel gebracht.“ Der berühmte Mozart-Forscher Alfred Einstein (befreundet, aber nicht verwandt mit Albert Einstein) schreibt 1942: „Denn diese Durchführungen sind Stürze in den Abgrund der Seele, symbolisiert in modulatorischen Kühnheiten, die den Zeitgenossen als Entgleisungen vorkommen mussten, aus denen nur Mozart selber wieder auf den Weg der Vernunft finden konnte. Es ist seltsam genug, wie leicht die Welt sich abfand mit einem solchen Werk und es sogar als Dokument ‚griechisch schwebender Grazie‘ charakterisieren konnte: was höchstens von dem himmlisch beruhigten Andante gelten mag und dem Trio des sonst so heroisch hoffnungslosen Menuetts.“ Und der schweizerische Musikwissenschaftler Eric Blom bemerkt 1935 treffend: „Wir sind bei Mozarts pathetischer Symphonie angelangt. (…) In Mozarts g-moll-Symphonie offenbart sich unglückliche Erschütterung, weil der Komponist seine Inspiration in dieser Weise ausdrücken musste, nicht aber, weil der die Zuhörer mit seinen Privatangelegenheiten behelligen wollte. (…) Man kann die g-moll-Symphonie tatsächlich als das Werk bezeichnen, in dem sich Klassizismus und Romantik auf einmalige Weise berühren, wobei ein absolutes Gleichgewicht herrscht und keines von beiden das geringste Übergewicht bekommt. In dieser Hinsicht ist sie bestimmt das vollkommenste Musikstück.“

Text: Frank Christian Aranowski


KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll
Orchester: Oekumenische Philharmonie
Leitung: Frank Christian Aranowski
Aufnahme am 31. Juli 2019 in der Stadthalle Ettlingen

KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Molto Allegro
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Andante
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Menuetto: Allegro
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Allegro assai



KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-moll
Solisten: Markus und Pascal Kaufmann (Klavier)
Aufnahme im Restaurant Flemming des Klinkum Chemnitz am 16.05.2011
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-moll, Molto allegro



KV 550 Berg.Gladbach ev. Kirche Zum Frieden Gottes

Die Symphonie g-moll KV 550 zählt zu den dramatischsten Werken Mozarts und lässt dessen innere Welt von einem besonderen Gesichtspunkt aus erschließen. In diesem klassisch aufgebauten Zyklus lässt sich eine wunderbare leidenschaftliche Natur empfinden.
Bereits das Hauptthema des ersten Satzes (Molto allegro) spiegelt einen unruhigen Geist wider, der beharrlich, aber vergeblich nach einer Erlösung sucht. Einige Momente der Verklärung bringen etwas Ruhe, Entspannung und sogar Freude, aber die geistige Unzufriedenheit lässt diese Augenblicke nicht genießen: die Spannung steigert sich und es werden ausgeprägt dramatische Spitzen erreicht.
In dem lyrischen Zentrum des Werkes – dem zweiten Satz (Andante) – beginnt die Musik aufzublühen und bringt eine ganze Palette von liebevollen, zärtlichen und innigen Gefühlen zum Ausdruck, mit einer Aufregung in der Mitte, die aber letzten Endes gemildert wird.
Im dritten Satz – Menuett (Allegretto) – kehrt die Dramatik zurück, die sich hier im pathetischen Ton zeigt. An die liebevolle Idylle des zweiten Satzes erinnert nur das von der Stimmung her verklärte Trio mit einem schönen „Liebesdialog“.
In der unaufhaltbaren Bewegung des Finales (Allegro assai) erlebt man wieder den unruhigen, nach einer Erlösung fieberhaft suchenden Geist – dessen romantischen Aufschwung, Hoffnung und Verzweiflung. Hingerissen wird man von der Intensität und Offenheit des dramatischen Ausdrucks dieser Musik, die die Menschen über Jahrhunderte hinweg immer weiter berührt und mitleiden lässt.

KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-moll
Orchester: Kammerorchester Bergisch Gladbach e.V.
Leitung: Dr. Roman Salyutov
Aufnahme am 14.04.2013 in der ev. Kirche „Zum Frieden Gottes“ Bergisch Gladbach - Heidkamp
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-moll
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-moll, Molto Allegro
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-moll, Andante
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-moll, Menuetto - Allegretto
KV 550, Sinfonie Nr. 40 g-moll, Allegro assai