KV 467 Zeughaus Neuss

Zu den lukrativen Einnahmequellen Mozarts gehörten in seiner Wiener Zeit unter anderem die sogenannten Akademien, Konzertreihen, in denen Mozart sich als Komponist und Klaviervirtuose präsentieren und sehr gute Einnahmen erzielen konnte. Das Klavierkonzert C-Dur KV 467 wurde nach Mozarts eigener Werkübersicht am 9. März 1785 vollendet, die Uraufführung erfolgte einen Tag (!) später in einer Akademie im Burgtheater. Man kann also verstehen, dass Vater Leopold sich über den Stress der Konzertsaison beschwerte, denn wie so oft in Mozarts Leben war die Tinte auf den Manuskripten und mitunter übel kopierten Orchesterstimmen bei der Premiere kaum getrocknet, geprobt wurde so gut wie gar nicht. Erstaunlich bleibt, wie Mozart es trotz der vielfältigen Verpflichtungen schaffte, seine Produktion am Laufen zu halten und dabei sein künstlerisches Niveau sogar noch zu steigern. Mit den Klavierkonzerten d-Moll KV 466 und C-Dur KV 467 aus dem Frühjahr 1785 schuf Mozart nämlich einen neuen Typus von Klavierkonzerten, der nicht nur seinen eigenen Spätstil (er war 29 Jahre alt), sondern auch die Geschichte dieser Gattung bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein prägte: das sinfonische Konzert. Das Soloinstrument wird in den sinfonischen Prozess integriert, erhält zwar Raum zur Entfaltung und zum Brillieren, muss sich aber auch ein- und bisweilen sogar unterordnen. Das mit Trompeten, Hörnern und Pauken recht groß besetzte Orchester wiederum steuert mehr zum musikalischen Geschehen bei als einen roten Teppich für das Soloinstrument. Es wird als wirklicher Partner über die Rolle eines Stichwortgebers oder Sparrings-Partners erhoben. Ohne diesen Ansatz wären die großen sinfonischen Konzerte Beethovens, Schumanns, Brahms‘, Pfitzners, Regers, Elgars, Prokofjews und vieler anderer nicht zu denken. Im Gegensatz zu dem über weite Strecken düsteren und grüblerischen Schwesterwerk in d-Moll strahlt das Klavierkonzert C-Dur KV 467 jene lässige, optimistische Eleganz aus, die man in Zeiten der Kunstreligion gerne zur „apollinischen Heiterkeit“ stilisierte und damit ihren Schöpfer quasi auf den musikalischen Olymp komplimentierte. Den ersten Satz Allegro maestoso eröffnet das Orchester mit einer ausladenden Exposition, in der das marschartige Hauptthema im Mittelpunkt steht und gleich auf mehrere Arten beleuchtet wird, zuerst leise und unisono, dann im Orchestertutti und schließlich in kontrapunktischer Engführung. Ein zartes Seitenthema in den Bläsern bildet den in der Sonatensatzform üblichen Kontrast. Man könnte sich als formkundiger Zuhörer oder mittelmäßiger Komponist ruhig zurücklehnen und sich auf das Schema von Exposition, Durchführung, Reprise und Koda einstimmen, aber Mozart wäre halt nicht Mozart, wenn er diese (eigentlich für alle großen Werke der Klassik falsche) Erwartungshaltung nicht enttäuschen würde: Das Soloklavier setzt fast beiläufig ein und meidet das thematische Material der Orchesterexposition. Das Haupt6 thema wird kaum gestreift und das zweite Thema völlig ignoriert. An seine Stelle tritt zunächst eine ernste Episode in g-Moll, die auf das berühmte Hauptthema der drei Jahre später entstandenen großen g-Moll-Sinfonie KV 550 vorausschaut und die für den weiteren Verlauf des Konzerts keine Bedeutung hat. Das Klavier wischt diese Episode mit geschäftigen Sechzehntelläufen beiseite und formuliert ein filigranes Thema in der „richtigen“ Dominanttonart G-Dur, das aus einem eher kreisenden Teil in Achtel und einem sich beschleunigenden aufwärtsstrebenden zweiten Teil besteht. Es herrschen im weiteren Verlauf des Satzes thematische Vielfalt und melodische Freiheit, Orchester und Solist kommentieren liebevoll die Gedanken des anderen, ohne sie in letzter Konsequenz für sich zu beanspruchen. Von Sonatensatzschema kann also keine Rede sein. Die Meisterschaft dieses Satzes besteht darin, dass die Freiheit nicht zur Formlosigkeit zerfasert, sondern im großen Rahmen des Sonatensatzes ein harmonisches Ganzes bildet: Einheit in Vielfalt. Der zweite Satz Andante gehört sicherlich zu den beliebtesten Konzertsätzen Mozarts überhaupt und hat in Film, Fernsehen und Supermarktbeschallung eine steile Karriere hingelegt. Es ist auch schwierig, sich der verträumten, schwebenden Atmosphäre zu entziehen, die Mozart hier mit einigen wenigen, jedoch höchst suggestiven Mitteln schafft.
Auf sechs dieser Mittel sei hingewiesen: 1. Da ist zunächst die in einem großen Tonumfang sich entwickelnde, beinahe unendliche Melodie, die einen Spannungsbogen über den gesamten Satz aufbaut. 2. Die Melodie changiert zwischen Dur und Moll und wird immer wieder mit Chromatik gewürzt. Sie bleibt so auf eine Art unfassbar, wie es später für Schubert so typisch wird. 3. Diese Melodie schwingt aus über einem ruhig fließenden, ebenfalls unendlichen triolischen Fundament. 4. Die Entgrenzung der Melodie wird gesteigert durch die Gleichzeitigkeit von duolischem und triolischem Rhythmus. 5. Die Streicher spielen mit Dämpfern, die Bässe werden gezupft. 6. Die Bläser werden sehr wirkungsvoll eingesetzt. Besonders die meisterhafte Verwendung des Fagotts verstärkt an einigen Stellen die dezente Melancholie dieses Nachtstücks.
Im abschließenden Allegro vivace assai setzt Mozart dem komplexen Kopfsatz und dem entrückten Andante ein handfest-virtuoses Schlussrondo an die Seite. Im Mittelpunkt steht ein leicht chromatisiertes, symmetrisch aufgebautes Hauptthema, das leicht dahingeworfen zu sein scheint. Tatsächlich aber hat es dieses Thema buchstäblich in sich, denn es wird zum Gegenstand einer thematischen Entwicklung, die man von einem klassischen Rondo eigentlich gar nicht erwartet. Mozart kombiniert Elemente der Rondoform (ein immer wiederkehrender Refrain, dazwischen kontrastierende sogenannte Couplets) mit der Sonatensatzform, indem er an manchen Stellen thematisch selbständige Couplets durch ein variierendes Aufgreifen des Hauptthemas ersetzt. Bei dieser Verarbeitung verselbständigen sich vor allem die ersten sechs Töne des Hauptthemas und tauchen immer wieder in 7 unterschiedlicher Lage und harmonischer Umgebung auf (dieses aufsteigende Sechstonmotiv erscheint übrigens fast wörtlich auch in der Figaro- Ouvertüre). An der Verständlichkeit dieses aufgeräumten Satzes ändert die komplexere Satzstruktur nichts, denn ihr wird eine Reduktion des thematischen Materials an sich entgegengesetzt. So kann der Hörer die Entwicklung des Satzes bis zu seinem fröhlichen Ende leicht nachvollziehen. Die Kombination von Kunstfertigkeit und Eingängigkeit des gesamten Konzerts unterstreicht einmal mehr Mozarts Anspruch und Fähigkeit, für Kenner und Liebhaber gleichermaßen zu komponieren.
Text: Michael Köhne



KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur
Orchester: Das Neusser Kammerorchester
Solist: Mariko Sudo (Klavier)
Leitung: Joachim Neugart
Aufnahme am 7. Mai 2017 im Zeughaus Neuss
Tontechnik: Frank Kirsch, Kaarst

Die Aufstellung des Flügels wurde bewusst anders gewählt als heute üblich, hier mehr in die Mitte des Orchesters, um die Balance zwischen Orchester und Klavier zu sichern (meist ist für die Mozartsche Musik das Klavier heute zu sehr im Vordergrund und zu dominant).

KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur
KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur, Allegro maestoso
KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur, Andante
KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur, Allegro vivace assai

KV 467 aus Probenarbeit

Das 1785 in Wien erschiene Klavierkonzert C-Dur setzt die Tendenz des kurz vorher komponierten Klavierkonzerts d-moll, bei der es sich um eine Symphonisierung dieser Gattung handelt. Dies zeigt sich vor allem in einer wichtigeren Rolle des Orchesterparts, der jetzt nicht nur als eine mehr oder minder im Hindergrund bleibende Begleitung, sondern durch das ihm zugeteilte thematische Material als eine markante dramaturgische Komponente wirkt und somit zur allegmeinen Entfaltung des Werkes wesentlich beiträgt. Außerdem ist die Partitur beeindruckend besetzt – neben dem traditionellen Streichersatz sind da eine Flöte, je zwei Oboen, Fagotte, Hörner und Trompeten sowie Pauken vertreten. Das Verhältnis „Solist – Orchester“ ist dadurch ausbalanciert, und man erlebt einen spannenden musikalischen Dialog „auf Augenhöhe“.
Im ersten Satz „Allegro maestoso“ ist dem Orchester hauptsächlich der heroischmajestätische Gestus zugetraut, wobei sich im Klavierpart mehr Lyrik und Nachdenklichkeit empfinden lassen. Durch eine feine Differenzierung aller Stimmen der Partitur kann man jede einzelne Klangfarbe genießen, sei es sogar kurze Motive einzelner Instrumente. Die Solostimme ist erheblich vortuos gestaltet, bleibt aber durchaus leicht, sogar in vielen bravourösen Episoden. Kurz vor dem Schluss des Satzes ist eine Kadenz für Klavier vorgesehen, die von Mozart aber nicht überliefert ist. Daher kann jeder Intepret seiner Fantasie freien Lauf geben und die Kadenz selbst komponieren.
Die Musik des zweiten Satzes „Andante“ gehört zu den weitweit berühmtesten Melodien überhaupt. Auf dem zärtlichen, schwebenden Hintergrund der Streicher entwickelt sich ein schönes Thema – beim Solisten und in den einzelnen Intrumenten, unisono und einander ergänzend. Dieselbe Melodie – und bei jedem Einsatz eine neue Klangfarbe, eine neue Nuance. Man hört in dieser Musik so viel Vergebung und verbleibt in Frieden – mit Gott, sich selbst und der ganzen Welt.
Im Finale – Rondo „Allegro vivace“ – fühlt man sich mitten im Wirbel des Lebens. Es kreisen verschiedene Masken und Charaktere, sprühende Freunde und Lebendigkeit faszinieren unbegrenzt und reißen hin. Was wollte Mozart in dieser Musik zum Ausdruck bringen, besonders nach dem himmlischen zweiten Satz? Welche Botschaft an uns steht dahinter? Die Seele eines Genies bleibt für immer unergründlich... Jedenfalls lässt sich nicht alles in Worte fassen – möge man’s einfach bewundern und genießen.



KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur
Orchester: Kammerorchester Bergisch Gladbach e.V.
Solist: Roman Salyutov (Klavier)
Leitung: Roman Salyutov
Kammerorchester Bergisch Gladbach und Roman Salyutov - Probenarbeit an Mozarts Klavierkonzert KV 467

KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur
KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur, Allegro maestoso
KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur, Andante
KV 467, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur, Allegro vivace