Von Pflichtwerken im Konzertbetrieb

Um sich auf dem heutigen Künstlermarkt durchzusetzen, bedarf es einer Kombination von verschiedenen Faktoren. Talent und Können, aber eine große Portion Glück zählen dazu, denn der Markst ist so überflutet, sodass auch viele sehr begabte Musiker auf eine breite Anerkennung lange warten müssen und sie manchmal auch nicht erlangen. Je nachdem, wo es künstlerisch genau hin geht - solistisch oder als Orchestermusiker - gibt es bestimmte Wege, die man üblicherweise geht. Wenn man eine solistische Karriere anstrebt, sind auf diesem Wege verschiedene Wettbewerbe zu bewältigen. Wenn man sich als Orchestermusiker profilieren will, so kommt man an speziellen Vorspielen nicht vorbei. Dabei ist das Rahmenprogramm in den meisten Wettbewerben und in allen Vorspielen klar geregelt, und fast überall gehört unbedingt Mozarts Musik dazu. In verschiedenen Instrumentalwettbewerben sind das seine Sonaten oder Konzerte, in den Orchestervorspielen wird – soweit für das jeweilige Instrument vorhanden - auch ein Satz aus seinen entsprechenden Konzerten vorgetragen, die sogenannte "Mozart-Runde", an der die absolute Mehrheit der Kandidaten scheitert.

Warum ausgerechnet Mozart? Warum wird man trotz einer immensen Vielfalt an Repertoire immer wieder auf Mozart geprüft? Weil gerade bei Mozart der künstlerische Geschmack und die spieltechnische Fertigkeit am besten geprüft werden können. Mozarts musikalische Konstrukte sind so fein gestaltet, sodass es sofort auffällt, sollte jemand in dieser oder anderer Hinsicht nicht reif genug sein. Bei Mozart gibt es keine Möglichkeit, "sich zu verstecken": Es gibt keinen reichlichen Pedalgebrauch wie bei Beethoven und den Romantikern, der mehrere Probleme der Fingergeläufigkeit vertuschen kann; Es gibt keinen überschwemmenden romantischen Pathos, unter dessen Vorwand die ideelle Inhaltslosigkeit manchmal erfolgreich verdeckt werden kann; Es gibt keine bravourösen Elementen der Spieltechnik a la Liszt oder Paganini, deren alleinige Beherrschung erhebliche Lücken bei der Konzeptgestaltung tarnen kann. Alle Linien sind bei Mozart derart klar und durchsichtig, sodass man wirklich eine sehr große Fingerfertigkeit braucht, um sie tadellos auszuführen. Dazu kommen bei den Bläsern und insbesondere Streichern immer das Problem der sauberen Intonation, denn Mozarts perlende Tonabfolgen sind unter anderem erheblich chromatisch, was auch eine große Herausforderung für das Gehör darstellt. Auch der Charakter des Mozartschen Klanges - leicht und schwebend, aber nicht entmaterialisiert, schön rund, mit Eleganz und Melodiegefühl, glänzend und brillant, aber nie nur virtuos geschickt...
Es sind also so viele Qualitäten, die Mozarts Musik verlangt, sodass das vergleichsweise sehr klare und durchsichtige Notenbild seiner Werke häufig deutlich größere Schwierigkeiten birgt, aber enorm dichte Partituren anderer Komponisten. Eine schliche Klaviersonate von Mozart kann manchmal viel mehr interpretatorische Probleme bereiten, als irgendeine "fingerbrechende" Opernfantasie oder Rhapsodie von Liszt. Die Beherrschung dieser Herausforderungen stellt eine große Probe der künstlerischen Reife der Interpreten und ist somit zurecht eine immer wieder geprüfte Qualität in verschiedenen Formen des Konzertbetriebs.

Text: Dr. Roman Salyutov, 2018