Mozarts Musik – auch Unterhaltungsmusik?

Heutzutage herrscht eine klare Abgrenzung der klassischen Musik von allen anderen musikalischen Bereichen bzw. Richtungen wie Pop, Rock, U-Musik, E-Musik usw. Als klassisch wird im Allgemeinen ernste Musik großer Komponisten gesehen, aufgeladen mit ästhetischen Vorstellungen, großen Ideen und philosophischen Inhalten. Damit hängt auch die Verwendung bestimmter Instrumente, die sich im Laufe der vorherigen jahrhundertlangen Musikgeschichte für die Aufführung der Klassik entwickelt wurden. Also Klassik vs. Pop, Rock und dergleichen, „Höhere Sphären“ gegen alltägliche Unterhaltung.

So erscheint es auf den ersten Blick, und es macht, wie wir weiter sehen werden, Sinn, sich mit dieser Sachlage etwas näher auseinanderzusetzen.

Nehmen wir dafür ein paar prominente Komponistenpersönlichkeiten aus dem 18. – 19. Jahrhundert und stellen fest, dass auch innerhalb des klassischen Bereichs weitere wichtige Differenzierungen notwendig sind. Sind die Walzer von J. Strauß ähnlich Beethovens Sinfonien? Ist die Operette “Die Fledermaus“ der gleichen Art wie Verdis „Rigoletto“? An diesen auffällig kontrastreichen Beispielen kann man sofort erkennen, dass es bei dieser beispielhaften Gegenüberstellung von Strauß auf der einen Seite und Beethoven und Verdi auf der anderen um nichts anderes als Unterhaltung und Ernste Musik geht. Beide sind im klassischen Gewand, aber ideell absolut unterschiedlich.

So kommen wir berechtigterweise auf den Gedanken, dass nicht jedes klassische Musikwerk den Vorstellungen von den „Höheren Sphären“ entspricht und es sowohl ernste, philosophisch aufgeladene, als auch rein spaßorientierte Klassik gibt, denn man kann sich kaum vorstellen, dass der Operette „Die Fledermaus“ mit einem ernst-nachdenklichen Gesichtsausdruck ohne einen einzigen Lachanfall zugelauscht wird.

Hierfür haben wir als Beispiel natürlich verschiedene Persönlichkeiten gewählt, denn Strauß komponierte keine „Schicksalssinfonie“, und Beethoven bespaßte auch nicht das Wiener Publikum mit Tanzmusik. In dieser Hinsicht stellt Mozart eine der markantesten Figuren der Musikgeschichte dar, die in sich diese verschiedenen charakterlichen Seiten auf eine faszinierende Art verband. In der Tat hinterließ der Autor des unsterblichen, tiefgründigen „Requiems“ auch eine ganze Menge von Kompositionen, die man nicht anders als populäre Schlager der damaligen Zeit bezeichnen kann. Um es besser nachzuvollziehen, würde uns reichen, den Blick auf seine „Eine kleine Nachtmusik“ zu richten, die in diesem Sinne wirklich symbolisch ist. Erinnern wir uns für einen Moment an den Film „Amadeus“ von M. Forman – an die Szene, wo Salieri die musikalischen Kenntnisse des ihn besuchenden Pfarrers prüft und ihm eine Melodie nach der anderen vorspielt: Der arme Pfarrer kann keine Salieri‘schen Melodien wiedererkennen, und erst dann, als Salieri das Hauptthema aus dem 1. Satz von Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“ anspielt, belebt sich sein Besucher, singt mit und gibt so zu verstehen, dass das Motiv ihm gut bekannt ist – und ohne dabei zu wissen, von wem es stammt! Das ist gerade eins der wichtigen Merkmale der populären Kultur – nämlich diese Popularität unter den Leuten, das, was man umgangssprachlich „Ohrwurm“ nennt. Vielleicht pfiff so damals das halbe Wien Mozarts Melodien nach, über deren Ursprung in vielen Fällen unwissend bleibend.

Nun zu der „Kleinen Nachtmusik“. Der hier täuschende Begriff „Nachtmusik“ könnte, jedenfalls für nicht eingeweihte Personen, direkte Assoziationen mit Wiegenliedern oder zumindest ruhigen, in die übliche abendlich-nächtliche Stimmung verleitenden Klängen erwecken. So könnte man denken – aber Mozarts Musik ist ja alles Andere, als Beruhigungs- oder Schlaftablette! Das erste Allegro sprüht schon von den allerersten Tönen an vor Energie und Lebendigkeit. Die liebevolle Romanze (2. Satz) wird von einem schwungvollen Menuett (3. Satz) abgelöst, wonach die ausgelassene Stimmung im Finale nur noch verstärkt wird. Eine Nachtmusik?? Natürlich – eine Mozart‘sche Nachtmusik!

Es ist kein Geheimnis, dass Mozart ein sehr lebensfreudiger, humorvoller und spaßiger Mensch war. Er mochte lange, sich in die späte Nacht oder gar die ersten Morgenstunden hinziehende Tanzabende, er trank gerne Wein, spielte Karten und Maskerade in guter Gesellschaft. Er war seinem unglaublichen Talent gegenüber höchst verantwortungsbewusst – und genoss dabei auch verschiedene Seiten des Lebens, die nicht immer und unbedingt mit der Hohen Kunst zu tun hatten. Solche spaßvollen Aktionen nutze er, um sich vom anstrengenden Alltag etwas zu erholen, die immer wiederkehrende Not für ein paar Stunden zu vergessen und den sich mehr oder weniger ständig aufbauenden Stress eines Künstlerlebens etwas zu reduzieren. „Eine kleine Nachtmusik“ ist somit eine sehr treffende Abbildung dieser anderen Welt, in die Mozart aus der Sphäre der Hohen Klassik gelegentlich gerne verschwand, um mehr spaßige und unterhaltsame Zeit zu erleben. Darum darf man solche Musik mit vollem Recht als Unterhaltungsklassik bezeichnen – für Spaß und Vergnügen, geschaffen von großen Komponisten mit einem klassischen Instrumentarium. Diese Musik beansprucht nicht unsere Konzentration, Aufmerksamkeit, emotionale Betroffenheit oder geistige Involviertheit – sie dient eher der momentanen Lockerung und Linderung unserer Probleme und Stressigkeiten, sie lässt uns für eine gewisse Zeit alles Negative, Belastende und Bedrückende vergessen und sie schafft uns ein paar zusätzliche Atemzüge im turbulenten, herausfordernden Alltag. Darum ist solche Musik auch sehr wichtig, deren Autors kompositorische Intention – Spaß als Selbstzweck – keineswegs eine Abkehr von der Hohen Kunst darstellt, sondern von einer sensiblen künstlerischen Intuition für unterschiedliche geistige Bedürfnisse des menschlichen Lebens zeugt.

Text: Dr. Roman Salyutov 2021