„Amadeus“ von Milos Forman – Gedanken zu einem Komponistenfilm

Es ist eine schwierige und anspruchsvolle Aufgabe, das Portrait einer lange verstorbenen großen Persönlichkeit mittels moderner Medien zu gestalten. Regisseure versuchen sich in die Gedankenwelt der jeweiligen Person, deren Epoche und Umgebung hineinzuversetzen und uns ein Bild davon zu vermitteln. Die Einen bleiben dabei eher historisch authentisch und faktentreu. Anderen nehmen sich dagegen mehr Freiheit: Vom tatsächlichen Hintergrund ausgehend entwickeln sie eine Fantasie, die uns einen anderen Blickwinkel auf die im Fokus stehende Persönlichkeit ermöglicht. Wenn auch nicht immer hundertprozentig wahrheitssicher, ist ein solcher Blickwinkel dennoch erlebnisreich.

Unter derartigen Filmfantasien über große Komponisten, die in den letzten Jahrzehnten auf den Markt kamen, zählt „Amadeus“ des tschechischen Regisseurs Milos Forman zu den besonders beeindruckenden Produktionen. In diesem Film wird die wunderbar wiedergegebene historische Atmosphäre – Wien zu Mozarts Zeit – mit einer spannenden Entwicklung der Handlung verbunden. Alle Charaktere erscheinen in ihrer vollkommenen Eigenartigkeit und Unverwechselbarkeit und sind sehr lebendig gestaltet.

Unter verschiedensten Gedanken, auf die dieses Meisterwerk der Filmkunst bringt, verdient ein folgender Aspekt besondere Aufmerksamkeit, der sich durch seine hervorgehobene Präsenz im Film das Phänomen Mozart tiefer begreifen lässt.
Schon am Anfang erleben wir Mozart in einer von der „hohen Kunst“ weit entfernten Alltagssituation: Bei einem Empfang, bei dem der Erzbischof präsent ist und Mozarts Werke aufgeführt werden, sucht der Komponist nach seiner Freundin Constanza. Sie treiben ein spaßiges Spiel, und sie versteckt sich vor ihm unter einem Tisch. Er findet sie, fängt sie ein, und auf dem Boden, halbliegend, entwickelt sich ein Dialog – witzig, liebevoll, aber auch ziemlich frivol. Ein charakteristisches Lachen, mit dem der Regisseur seine Hauptfigur bereichert, fällt dabei klar auf. Erste Minuten unserer Begegnung mit Mozart – und so ein Eindruck, der mit dem gottbegnadeten Mozart, den wir uns vielleicht vorher vorstellten, gar nicht im Einklang steht. Ein irre lachender Mozart – ein Jüngling, der „unanständige“ Sachen ausspricht und sich komisch benimmt!.. Antonio Salieri, der uns als Erzähler durch die Geschichte führt, kann es nicht begreifen: Er bewundert Mozarts Musik, kann aber nicht verstehen, dass diese Musik von einem derartigen – er meint es im negativen Sinne - Jungen komponiert wird! Er hat ja die Szene zwischen Mozart und Constanza heimlich verfolgt und war einfach schockiert und sogar bestürzt...

Im weiteren Verlauf sehen wir Mozart mehrmals auf Partys – umgeben von vielen leichtsinnigen Männern und Frauen, die sich mit verschiedenen lustigen Spielen vergnügen. Und wieder mag Mozart viel zu unseriös vorkommen – mit seinem Gelächter, Humor und seiner unbändigen Lust zum Witzen, Ironisieren, Parodieren und Auslachen. Dazu fällt den aufmerksamen Zuschauern sicherlich noch auf, dass Flaschen Champagner und Wein in Strömen fließen.

Natürlich ist dabei nicht zu vergessen, dass wir nicht den wirklichen Wolfgang Amadeus sehen, sondern sein Bild durch das Prisma von Milos Formans Wahrnehmung. Selbstverständlich ist auch, dass dem Regisseur verschiedene historische Dokumente behilflich waren, um die Figur von Mozart zu rekonstruieren. Aber ohne eine wesentliche Portion Fantasie konnte man hier kaum auskommen, denn die Hauptfigur muss keine leblose „Museumstatue“ darstellen, sondern in ihrer Umgangsweise lebendig, menschlich und vor allem wahrhaft bleiben und uns Zuschauer dadurch ansprechen.

Mit diesen so markant gesetzten Akzenten scheint Forman die Aufmerksamkeit auf folgenden Aspekt fokussieren zu wollen: Ist es wirklich so unglaublich oder, besser gesagt, unnatürlich, dass ein Komponist, der solch göttliche Musik schöpft, eine derart unseriöse Person sein kann? Ist der Autor von schönen Konzerten, Sonaten und Messen wirklich derjenige Mozart, der sich mal mit sinnlosen Spielchen, Späßchen und Alkohol belustigt? Gegensätze, unvereinbare Gegensätze, sagen konservative Kritiker, das könne doch nicht sein, der Regisseur übertreibe es merklich. So denken manche – und irren sich! Milos Format zeigt, dass ein Ausnahmetalent und hohe Kunst einerseits und die Menschlichkeit in all‘ ihren Facetten andererseits keine unvereinbaren Kontraste bilden. Dass ein gottbegnadeter Künstler nicht unbedingt eine Person ist, die strengen Kanonen der Moral entspricht. Eine Phrase, die Formans Mozart dem österreichischen Kaiser sagt, lautet: „Eure Majestät, selbst mag ich ein vulgärer Mensch sein, aber meine Musik nicht – sie ist nicht vulgär“.

Das Leben eines Genies hat einen Außenschein durch seine Kunst, aber es gibt noch sein Leben als Mensch, verschiedene Seiten seines Charakters, die oft unterschätzt werden. Und wenn wir bei einer Auseinandersetzung mit Mozarts Musik diese Seiten seines Charakters ausklammern und sie ihm absprechen, dann lassen wir seine Person blass, banal und vergleichsweise uninteressant erscheinen. Mozart hat doch so viel freudige Musik komponiert – so spiellustig, witzig, ausgelassen und auch frech, dass es unmöglich erscheint, dass diese Musik von einem puritanischen, in allen Hinsichten „vorbildlichen“ Menschen komponiert wurde. Zahlreiche Figuren in Mozarts Opern sind lebendige Beweise dafür, dass der Komponist diese Charaktere nicht abstrakt-neutral gestaltete, sondern aus seiner eigenen inneren Welt heraus schuf. Wenn wir annehmen, dass Mozart neben seiner Tiefgründigkeit auch die humorvolle Natur des Figaro und die Frechheit, das Ego und die bahnbrechende Energie des Don Giovanni in sich trug, dann erleben wir einen anderen Mozart. Es wird keine raffinierte und nur in den Höhen schwebende Klassik mehr, sondern eine wahnsinnig interessante, lebensgewandte und spannende Musik mit zahlreichen Kontrasten, Höhen wie auch Tiefen – anders gesagt, mit allem, was ein Menschenleben enthält. Wenn Mozart nicht unnötig vergöttert und in eine Museumfigur verwandelt, sondern gerade als menschliche Natur wahrgenommen wird, dann wird seine facettenreiche Musik noch Jahrhunderte später immer wieder begeistern und bewundern. Es ist doch so viel wahres Leben in diesen Tönen!

Text: Dr. Roman Salyutov, 2016