KV 16 Kreuzkirche Chemnitz

Ist es provokant, im Einführungstext zu einem Musikfestival, das sich in diesem Jahr explizit dem Thema Freiheit widmet, gleich zum ersten Werk des Konzertabends das Fragezeichen hinzuzufügen? Und doch ist es legitim, die Freiheit nicht immer als gegeben und günstig hinzunehmen, sondern sie auch in den Zeitläuften, den Kulturen und vor allem mit den an ihr beteiligten und sie formenden Menschen zu betrachten. Schaut man sich den aus 45 Werken bestehenden Kosmos der Sinfonien von Wolfgang Amadé Mozart in ihrer genialischen Fortentwicklung an, so kommt man nicht umhin, die Freiheit als unablässig anwesenden Motor von Mozarts erfindenden und forschenden, spielerischen und ernsthaften Geist zu empfinden – freilich hat sie Grenzen und wird immer wieder neu definiert. Die Sinfonie Nr. 1 KV 16 wirft einen Blick auf die Zeit, „wo alles begann“, und es dürfte ein verblüffendes Hörerlebnis sein, dass wir bei aller zeitlicher Distanz etwa zu den berühmten letzten drei Sinfonien schon hier bei den ersten Tönen Reife und persönliche Handschrift zu hören meinen. Etwas nüchterner betrachtet ist es das Handwerk, was uns Respekt abnötigt und – Freiheit hin oder her – dem neunjährigen Mozart natürlich teilweise als Talent schlicht zufiel, aber gewiss, und hier kommt der Vater ins Spiel, den Schliff durch (Aus-) Übung und am Ende lebenslanges Lernen bekam. Die Förderung des Sohnes hat Leopold Mozart mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten betrieben. Eine unbeschwerte Kindheit sehen Biografen heute hier nicht mehr, allerdings konnte sich Mozart auf den von den Eltern organisierten Reisen durch die Niederlande, Belgien, Frankreich und England 1763-1766 von überall einen umfassenden Status Quo der Musik abholen, den ihm zeitgenössische Bücher oder das Salzburger Musikleben allein wohl kaum vermittelt hätten. Auch rückblickend äußert sich Mozart über die Reisen positiv: den in London wirkenden jüngsten Sohn von Johann Sebastian Bach, den Komponisten und Cembalisten Johann Christian Bach (1735-1782), rühmt er später immer wieder als väterlichen Freund und Lehrer. Auf der britischen Insel schrieb Mozart auch seine ersten Sinfonien sowie einige Klavierkonzerte, die noch Arrangements anderer Komponisten darstellten – eine damals seit dem Barock völlig übliche Art, sich Stile anzueignen. Auch die Sinfonie KV 16 entsteht mit solchen einfachen Gesetzmäßigkeiten: hören, verstehen, selber schreiben (manchmal improvisierte Wolfgang Amadé auch – auf Zuruf!). Allerdings, das darf nicht vergessen werden, ist das nur innerhalb einer musikalischen Lebens- und Denkwelt ein einigermaßen selbstverständlicher Vorgang.

Was Mozart hier als Neunjähriger auf das Notenpapier wirft, läßt uns dennoch staunen, der Blick lohnt: Klassisch für die damalige Zeit ist der dreisätzige Aufbau der Sinfonie in einen Hauptsatz, ein liedhaftes Andante und ein Presto. Und gleich im Thema des 1. Satzes stutzen wir: der Hauptgedanke umfasst elf Takte, was zumindest für die in Regelmäßigkeiten denkende damalige Musikwelt ungewöhnlich erscheint. Einem signalhaft aufsteigenden Dreitakter folgt eine fast choralartig anmutende, absteigende Gesangslinie – schon sind zwei gegensätzliche Charaktere vorgestellt. Von kindlicher Verspieltheit eigentlich keine Spur. Die Freiheit einer heroischen Revolution, der wir nachher bei Beethoven nachgehen, wäre hier aber auch fehl am Platz: Mozart probiert die üblichen Reihungsformen aus, fast wirkt der erste Satz wie eine Art Basisvorrat an Vokabeln und Möglichkeiten. Im Andante überrascht den Hörer aus dem Hornsatz „ein Gruß aus späterer Zeit“ (Hermann Abert), denn die Viertonfolge es-f-as-g ist aus dem Finale der letzten Sinfonie, der „Jupiter-Sinfonie“, bestens bekannt. Schwieriger erscheint die Deutung, ob es sich bei diesem Motiv tatsächlich um eine Art Visitenkarte oder Devise Mozarts handelt – ein solches Viertonmotiv war eigentlich eher normaler Gegenstand von Kontrapunktübungen. Um so erstaunlicher erscheint dann, mit welch einfachem Material Mozart ja noch in seinen komplexesten Werken wie der Jupiter-Sinfonie arbeitet. Im abschließenden Rondo-Presto dann lassen wir uns schlicht von Mozart unterhalten. Wir beachten die chromatischen Verläufe und Akzente in den Couplets und können vielleicht im Nachklang der letzten Akkorde erahnen, welch ein gewaltiges Gesamtwerk dieser Sinfonie aus Mozarts Händen folgt...
Text: Alexander Keuk


KV 16, Sinfonie Nr. 1 Es-Dur
Orchester: Netzwerkorchester IX
Leitung: Niksa Bareza
Aufnahme am 17. Mai 2019 in der Kreuzkirche Chemnitz

KV 16, Sinfonie Nr. 1 Es-Dur
KV 16, Sinfonie Nr. 1 Es-Dur, Allegro molto
KV 16, Sinfonie Nr. 1 Es-Dur, Andante
KV 16, Sinfonie Nr. 1 Es-Dur, Presto