KV 285 Insel Nonnenwerth, Kapitelsaal

Der musikalischen Hochblüte Mannheims im späten 18. Jahrhundert verdankt Mozarts D-Dur-Flötenquartett seine Entstehung. Der junge Salzburger Meister hielt sich im Winter 1777/78 für mehrere Monate in der kurpfälzischen Residenzstadt auf, weil er am Musenhof Karl Theodors auf Anstellung hoffte. Im Dunstkreis des kurfürstlichen Flötenspielers lernte er bekannte und weniger bekannte Flötisten kennen wie etwa den berühmten Virtuosen Wendling, mit dem er sich eng befreundete, oder den aus Bonn stammenden Medizingelehrten Ferdinand de Jean, der das Flötespiel dilettierend betrieb.
De Jean war als Arzt im Dienst der Verenigde Oostindische Compagnie zu Reichtum gelangt, was es ihm erlaubte, bei Mozart “3 kleine, leichte, und kurze Concertln und ein Paar quattro auf die flötte” gegen das fürstliche Honorar von 200 Gulden zu bestellen. (Soviel erhielt man seinerzeit für eine große Oper!) Mozart stürzte sich sofort in die Arbeit für den “indianischen Holländer” und vollendete am Weihnachtstag 1777 das D-Dur-Quartett, KV 285 – wie man hören kann, mit Elan, der freilich schon wenig später ins Stocken geriet. Mozart selbst führte seine angebliche Aversion gegen die Flöte als Entschuldigung ins Feld, der wahre Grund war jedoch seine Liebe zu der 16jährigen Aloisia Weber, die seine Gesangsschülerin und Angebetete geworden war. Ihr opferte er die kostbaren Mannheimer Wochen auf, so daß letztlich nicht einmal die Hälfte von de Jeans Auftrag fertig wurde. Wie es den Gepflogenheiten der Zeit entsprach, die nach Vertrag, nicht nach Qualität bezahlte, erhielt der Komponist statt 200 nur 96 Gulden, wogegen er heftig protestierte, da er angeblich immerhin zwei Konzerte und drei Quartette (Quadros) fertiggestellt hatte. Ganz trauen kann man diesen Zahlen – wie häufig in Mozarts Briefen – nicht. So läßt sich von seinen vier Flötenquartetten nur das in D-Dur mit Sicherheit auf die Mannheimer Zeit datieren. Die anderen sind entweder spätere Wiener Werke (C-Dur und A-Dur) oder so korrumpiert überliefert, daß sie kaum als authentisch gelten können (G-Dur, teilweise C-Dur).
So blieb das D-Dur-Quartett Mozarts einziger voll gültiger Beitrag zu einer Gattung, die allein in Mannheim zwischen 1760 und 1790 mehrere Dutzend Werke hervorbrachte, komponiert von Musikern wie Wendling, Toeschi und Cannabich. Mozarts Quartett zeugt von der Auseinandersetzung mit der empfindsamen Tonsprache dieser Meister. Während sein Vater eher abschätzig vom “vermanierierten Mannheimer goût” sprach, experimentierte er mit “Mannheimer Manieren” wie dynamischen Kontrasten, Vorhalten und Zwischendominanten, ohne freilich den “wahren rührenden Geschmack” ganz zu verleugnen. Eine ideale Synthese gingen beide Stilideale in dem wunderbaren h-Moll-Adagio des Quartetts ein.
Quelle: Kammermusikführer Villa Musica


KV 285, Quartett für Flöte & Streicher D-Dur
Solisten: Betty Nieswandt (Querflöte), Donate Wilken (Violine), Zeynep Tamay (Viola), Verena Sennekamp (Violoncello)
Aufnahme am 20. November 2016 auf der Rheininsel Nonnenwerth, Kapitelsaal

KV 285, Quartett für Flöte & Streicher D-Dur
KV 285, Quartett für Flöte & Streicher D-Dur, Allegro
KV 285, Quartett für Flöte & Streicher D-Dur, Adagio
KV 285, Quartett für Flöte & Streicher D-Dur, Rondo, Allegretto