KV 439 Baldauf Villa, Marienberg

Zur Einführung

Musik ist eine ernste Angelegenheit, so haben wir es gelernt. Auch heute sitzen Sie, verehrte Zuhörer, in einem Konzert, pflegen das geistvolle Zuhören und die Konversation vor oder nach der Darbietung. Mit Verlaub: so fürnehm ging es nicht immer zu in der klassischen Musik und das heutige Programm bietet manchen offenen, manchen eher versteckten Hinweis, dass der „ordentliche“ Verzehr von Musik schon durch seine Anlässe oft in Frage gestellt wurde. Am leichtesten läßt sich dies bei barocken Gemälden mit höfischen Szenen entdecken: da wird die Laute gezupft, obwohl gerade Haxen und Weintrauben die Runde machen und man „flezt“ sich auf den Chaiselongues, vermutlich hat man auch noch eifrig über die Töne hinweg „parliert“. Was dabei musiziert wurde, hatte beileibe noch nicht den hehren Anspruch eines weltumspannenden und Zeiten überdauernden Kunstwerks.
Die zu Mozarts Zeiten entstehende „Harmoniemusik“ etwa, mit der man gemischte Bläserbünde zu verschiedenen Anlässen titulierte, war eine echte Straßen- und Festmusik, und der just in Wien angelandete Mozart wusste sehr gut darum, dass sein Name am besten durch diese Serenaden und Divertimenti – eben „Unterhaltungsmusik“ gut verbreitet wurde. An den Vater schrieb er, sich auf die Serenade Es-Dur KV 375 beziehend: „Die 6 Herrn die solche exsequiren, sind arme schlucker, die aber ganz Hübsch zusammen blasen … Die Haubtursache aber warum ich sie gemacht, war, um dem herrn v. strack (welcher täglich dahin kömmt) etwas von mir hören zu lassen. und deswegen habe ich sie auch ein wenig vernünftig geschrieben.“ – Mit diesem typischen Mozartschen Understatement sind wir hier auch beim Humor gelandet: „ein wenig vernünftig“ hat Mozart auch seine Divertimenti KV439b – immerhin 25 Einzelsätze komponiert. Während sich aber Mozarts Meisterwerke unter der steten Obhut von Interpreten und Musikwissenschaftlern einer gebührlichen Pflege bis in heutige Zeiten erfreuen, haben diese „Straßenmusiken“ nicht nur eine ordentliche Verbreitung erfahren, die ja ganz sicher im Sinne des Erfinders war, sie sind auch heute kaum mehr ordentlich zu rekonstruieren. Etliche Kopien und Abschriften kursieren in aller Welt, so dass man hier von Terzetten ausgeht, dort von Divertimenti, an anderer Stelle von einem Zyklus „in nuce“, also in komprimierter Form. Gesichert erscheint, dass Mozart die Trios für drei Bassetthörner geschrieben hat, nämlich für das Trio, das Mozarts Freund Anton Stadler – für den auch das berühmte Klarinettenkonzert entstand - mit seinem Bruder und einem weiteren Wiener Klarinettisten unterhielt. Mozarts Witwe Constanze schrieb am 31.5.1800 an den Verleger Johann Anton André: „Mit dem Clarinettisten Stadler dem älteren muß […] gesprochen werden. Dieser hat […] noch unbekannte Trio’s für bassetthörner in Copie. Er behauptet, dass ihm sein Coffre, worin diese Sachen waren, […] gestohlen worden ist. Andre aber versichern mich, dass dieser Coffre [..] für 73 ducaten versezt ist.“ – Das spricht für Stadlers bekanntermaßen abenteuerliches Leben. Und die Tatsache, dass man noch 1937 in einem umgestürzten Schrank in der damals im Verfall befindlichen Seisenburg in Oberösterreich eine Abschrift der Divertimenti fand, läßt einen schmunzeln: wenn Papier erzählen könnte! Immerhin bewiesen diese Noten, dass Mozart tatsächlich diese Bassetthorntrios verfasst hatte. In der Zwischenzeit gab es auch reichliche Bearbeitungen dieser Werke – auch das ist ein übliches Kennzeichen der Harmonie- und Festmusiken. Was für die nächste Gesellschaft, Hochzeit oder Feierlichkeit nicht passte, wurde passend gemacht.
In der Seisenburg-Abschrift findet sich beispielsweise eine Alternativstimme für die dritte Stimme, um zwei Sopraninstrumente und ein Bassinstrument zu ermöglichen. Ein „Divertimento Nr. 6“, das aus fünf Bearbeitungen von Arien besteht, wurde zunächst separiert, scheint aber diesem Gesamtwerk von Terzetten zugehörig zu sein, es taucht auch im ersten Druck von Simrock (1815) auf. Da die erste Nummer, das Rondo „Al desio“ (KV 577) erst als Anhang zur Oper „Die Hochzeit des Figaro“ 1789/1790 komponiert wurde, könnte man die Terzette, deren Autograph weiterhin fehlt (herrenlose Koffer sollte man künftig nicht nur auf Dynamit, sondern auch auf Notenblätter hin untersuchen!) als spätes Werk Mozarts datieren, wofür übrigens auch spricht, dass die nun insgesamt 30 Terzettsätze keinerlei Formwiederholungen aufweisen, Taktphrasen und Symmetrien sind immer anders aufgeteilt. Wir sind also hier mit einer raffiniert versteckten Gelehrtheit unter dem Mantel der geistvollen Unterhaltung konfrontiert – ganz nebenbei verstand es natürlich Mozart bereits perfekt, für das neue Instrument Bassetthorn auch noch die Virtuosen zu befriedigen!
Während in den Bearbeitungen aus „Figaros Hochzeit“ und „Don Giovanni“ natürlich die berühmten Arienmelodien von Cherubino und Zerlina im Mittelpunkt stehen, ist es in der 1791 in Prag uraufgeführten Oper „La Clemenza di Tito“, in der der Klarinettist und Freund Mozarts Anton Stadler nachweislich mitspielte, die Klarinette, die obligat den Sängerinnen musikalisch auf Augenhöhe zur Seite gestellt wird. So hat Mozart die Arie des Sesto „Parto, ma tu ben mio“ für obligate Klarinette komponiert und die der Vitellia „Non piu di fiori vaghe catene“ für Bassetthorn – Rainer Schottstädt hat diese beiden Arien für Klarinettentrio bearbeitet.
Den Klarinettenvirtuosen Anton Stadler lernte Mozart etwa um 1781 in Wien kennen. Obwohl von der Freundschaft wenig überliefert ist – Mozart nannte ihn später scherzhaft “Notschibinitschibi”, was eine Kombination der Worte “Notschibi” (Geizhals) und “Nitschibi” (jugendlicher Narr) ist, setzte das künstlerische Ergebnis mit Mozarts geschicktem Einsatz des Bassethorns – einem damals recht neu entwickelten Instrument, einer Art Tenor-Klarinette - und der Klarinette in Orchesterwerken, Opern und Kammermusik Maßstäbe und inspirierte Interpreten wie Komponisten. Anton Stadler selbst komponierte gemeinsam mit seinem Bruder Johann insgesamt 18 Trios zum eigenen Gebrauch, die in der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien verwahrt werden. Die Brüder waren seit 1783 Mitglieder der „kaiserlichen Harmonie“, einem Bläseroktett, und 1787 wurden sie Mitglied der Wiener Hofkapelle. Die Kontakte zu Mozart verstärkten sich in dieser Zeit auch über die Freimaurerloge „Zum Palmbaum“, dessen Stuhlmeister Johann Peter Loibel Mozarts Nachbar war. Die später entstandene „Maurerische Trauermusik“ auf zwei verstorbene Logenbrüder enthält zwei Klarinettenstimmen, gespielt vermutlich von den Brüdern Stadler. Der oft in finanzielle Nöte geratene Stadler versuchte sich nicht zuletzt auch mit den Kompositionen für das eigene Instrument über Wasser zu halten und kombinierte auf seinen Konzertreisen eigene Werke mit denen des Mozart-Schülers Franz Xaver Süßmayr und den Bläserkompositionen von Wolfgang Amadé Mozart.
Während die populären Divertimenti aus Opernmelodien die Singstimmen instrumental nachahmen und polyphon kunstvoll zum Trio erweitert werden, kombinieren die 6 Nocturnos, die Mozart 1783 und 1788 vor allem zum häuslichen, privaten (!) Musizieren im Kreis der mit Mozart eng befreundeten Familie des Botanikers Nicolaus Josef von Jacquin schrieb, je drei Vokal- und Instrumentalstimmen – für diese Gesellschaften sind wohl auch die bereits erwähnten Divertimenti entstanden In Mozarts Schaffen steht diese in der Besetzung rare Kostbarkeit ohne Vergleich da. Bei den Jacquins wurde nicht nur eifrig musiziert, sondern auch komponiert, und das ganz zum eigenen Vergnügen und zur gemeinsamen Geselligkeit. Die Nocturni auf Texte verschiedener Dichter – Liebesfreud und Liebesleid in zeitgenössischer Weise behandelnd - stellen so ein typisches Beispiel der Salons dar, in denen Mozart verkehrte und wo er Schüler unterrichtete oder im gh67„Phantasieren“ am Klavier unterhaltsame Nachmittage garantierte.

Alexander Keuk



KV 439, Notturno „Due pupille amabili“
Solisten: Aneta Petrasová, Georg Streuber, Sonja Maria Westermann (Gesang), Jan Doormann, Regine Müller, Marco Thomas (Klarinette)
Aufnahme am 8. Mai 2018, Baldauf Villa, Marienberg

KV 439, Notturno „Due pupille amabili“



KV 439, Divertimento in C
Solisten: Susanne Geuer, Miriam Mietzko, Pascal Mühlenhoff (Klarinette)
Aufnahme am 25.03.2007 im Flügelsaal des Kulturzentrums Langenfeld (Rhld) (Veranstaltung der Musikschule)

KV 439, Divertimento in C, Allegro